Die Diskussion um die Vollakademisierung therapeutischer Berufe in Deutschland, dazu zählen Logopädie, Ergotherapie und Physiotherapie, ist erneut Thema in der Öffentlichkeit. Obwohl der Diskurs schon seit mehr als 10 Jahren besteht, werden kaum Fortschritte erzielt. Die Meinungen und Wünsche gehen in verschiedene Richtungen. Dieser Beitrag soll einen Überblick der Thematik schaffen und zum Meinungsaustausch anregen.

Das Gesundheitssystem wird komplexer 

Die Anforderungen des Gesundheitssystems und der Gesundheitsversorgung in Deutschland werden immer komplexer und abstrakter, so das Bundesministerium für Gesundheit (BGM) in einem Bericht. Daher sollen Therapeut:innen mit einer akademischen Ausbildung besser auf die Entwicklungen des Gesundheitssystems vorbereitet werden. Bereits im Herbst 2009 wurde die Modellklausel für Berufsgesetze zur Erprobung akademischer Erstausbildungen eingeführt.  

Auf Verlängerung vorläufiger Gesetze folgt erneut Verlängerung 

Die eingeführten Modellklauseln laufen am 31. Dezember 2021 aus. Im Rahmen des Gesetzes zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung (Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz – GVWG) wurden diese bis zum 31. Dezember 2024 verlängert. Das Bundesministerium für Gesundheit kommt im aktuellen Bericht zu dem Schluss, dass der Verlängerungszeitraum ausreichend erscheint, um währenddessen Neuerungen für Therapieberufe festzulegen. Die mittlerweile lang ersehnte Entscheidung über die mögliche Akademisierung soll somit innerhalb der nächsten drei Jahre final entschieden werden. 

Studierendeninitiative und Berufsverbände fordern Vollakademisierung 

Eine Initiative von Studierenden der Logopädie, Physio- und Ergotherapie, HochschuleJetzt!, fordert die Vollakademisierung und Primärqualifizierung. Sie haben sich aus 22 Hochschulen deutschlandweit vernetzt und machen ihrer Frustration Luft. Die Stimme der Initiative richtet sich an die seit langem unveränderte politische Situation der Akademisierung in Deutschland. Auch argumentieren sie, dass das deutsche Ausbildungssystem therapeutischer Berufe der Vernetzung mit anderen Staaten der Europäischen Union im Wege stehe. Laut den Studierenden gelingt keine “heterogene Bildungsqualität”. Auch die Berufsverbände der therapeutischen Berufe fordern seit Jahren die Vollakademisierung. 

Berufsfachschulen sind gegen die Vollakademisierung 

Eine andere Ansicht haben die deutschen Berufsfachschulen, die sich gegen eine Vollakademisierung aussprechen. Bundesweit werden laut “Allianz der Gesundheitsschulen” etwa 53.000 Schüler:innen an Berufsfachschulen ausgebildet. Diese machen mit circa 80 Prozent den Großteil der zukünftigen Therapeut:innen aus. Die Vollakademiserung der Berufsbilder würde zwei Drittel von ihnen ausschließen, da sie keine Hochschulreife besitzen. Viele Arbeitsplätze seien bedroht. Berufsfachschulen plädieren daher für ein Modell der Teilakademisierung.  

Vollakademisierung aktuell Bestandteil der Koalitionsverhandlungen der Grünen

Auch die Grünen haben sich während des Wahlkampfes für eine Akademisierung der Therapieberufe ausgesprochen. Als Bestandteil der Koalitionsverhandlungen ist das Thema somit aktuell in der Diskussion. Die Grünen streben mit der Vollakademisierung eine Aufwertung therapeutischer Berufe an.  

Es gibt verschiedene Perspektiven zum Thema der Voll- beziehungsweise Teilakademisierung therapeutischer Berufe. Sicher ist jedoch, dass zeitnah eine Entscheidung getroffen werden sollte. Denn besonders die Verantwortung gegenüber Patient:innen spricht dafür, die grundsätzliche Qualitätsentwicklung der Gesundheitsversorgung voranzutreiben. Die therapeutische Ausbildung, sei sie nun schulisch oder akademisch, kann von einheitlichen Qualitätsstandards nur profitieren. 

 

Im vorherigen Blogbeitrag wurde das Projekt Schlaganfall-Lotsen vorgestellt. Lotsen leisten einen bedeutenden Beitrag zur Genesung und Verbesserung der Lebensqualität von Patient:innen nach dem Klinikaufenthalt. Die positiven Ergebnisse lassen darauf hoffen, dass Patient:innen deutschlandweit zukünftig von ähnlichen Versorgungsmodellen profitieren könnten – unabhängig von ihrer Erkrankung. 

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